Expert*innen zählen weniger Seehunde im Wattenmeer

Jedes Jahr werden die Seehunde im Wattenmeer und auf Helgoland mit Hilfe von Luftaufnahmen gezählt. Die Erhebungen dieser im Wattenmeer bekanntesten Robbenart werden während der Fortpflanzungszeit im Juni und der Zeit des Fellwechsels im August durchgeführt, wenn die Seehunde bei Ebbe häufiger auf den Sandbänken zu beobachten sind. Die Zählergebnisse für 2022 zeigen einen Rückgang der Jungtiere um 22 % und einen Rückgang der während des Fellwechsels beobachteten Seehunde um 12 % im Vergleich zum Vorjahr 2021.

Im Juni wurden 8.514 Jungtiere im Wattenmeer gezählt. Im Jahr zuvor waren es noch 10.903 Jungtiere. In allen Teilen des Wattenmeers wurden rückläufige Zahlen beobachtet: In Dänemark sank die Zahl der Jungtiere um 18 %, in Schleswig-Holstein um 25 %, in Niedersachsen und Hamburg um 17 % und in den Niederlanden wurde ein Rückgang von 22 % gegenüber 2021 verzeichnet. Ein Jungtier wurde auf Helgoland beobachtet.

Während des jährlichen Fellwechsels im August 2022 ging die Zahl der gezählten Seehunde ebenfalls in nahezu allen Gebieten zurück. Einzig in Dänemark wurde ein Anstieg von 106 % verzeichnet. Insgesamt wurden 23.652 Seehunde im Wattenmeergebiet gesichtet – die niedrigste Zahl seit 2011. In Schleswig-Holstein wurden 8.384 Seehunde gezählt (-5% gegenüber 2021) und auf Helgoland 98 Seehunde (-16%). Die Niederlande meldeten mit 7.548 erfassten Seehunde einen Rückgang von -8% gegenüber 2021. In Niedersachsen und Hamburg sank die Zahl deutlich auf 4.822 (-42 % gegenüber 2021). In diesem Gebiet könnten geänderte Erhebungsmethoden in einem Teil des Gebiets, die eine klarere Unterscheidung zwischen Seehunden und Kegelrobben ermöglichen, dazu geführt haben, dass weniger Tiere gezählt wurden. Diese Änderung kann den Rückgang der Zahlen jedoch nur teilweise erklären.

Es ist derzeit unklar, was die Ursache für den Rückgang der Anzahl an Seehunden und ihren Jungtieren in diesem Jahr sein könnte. Möglicherweise nähert sich der Bestand der Kapazitätsgrenze des Wattenmeeres an und wird durch begrenzte Ressourcen, wie zum Beispiel Nahrung, eingeschränkt. „Ab einer bestimmten Anzahl oder Dichte an Seehunden würde man erwarten, dass die Jungtiere am meisten gefordert sind, um mit den begrenzten Ressourcen zurechtzukommen. Dies würde zu einer höheren Sterblichkeit von Jungtieren und einem stagnierenden Bestandswachstum führen. Nach einer gewissen Zeit würde sich dies auf die Zahl der fortpflanzungsfähigen Weibchen auswirken, was wiederum zu einer Stagnation der Jungtierzahlen führen würde. Die diesjährigen Zählungen stehen im Einklang mit einer solchen Entwicklung, liegen aber deutlich unterhalb der Zahlen, die wir in einem solchen Scenario erwarten würden. Allerdings können wir aus den Beobachtungen eines einzigen Jahres keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen“, sagt Anders Galatius, der Hauptautor des Berichts über die Zählungen. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit der laufenden trilateralen Überwachung, aber auch zusätzlicher Studien, um die diesen Veränderungen zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen.

Seehunde sind neben Kegelrobben die größten Meeresräuber im Wattenmeer. Im Rahmen des Monitorings der Trilateralen Wattenmeer-Zusammenarbeit koordiniert die trilaterale Expertengruppe für Meeressäugetiere die Zählungen und harmonisiert die Daten aus der gesamten Wattenmeerregion. Die Seehunde sind durch das Abkommen zur Erhaltung der Seehunde im Wattenmeer (Agreement on the Conservation of Seals in the Wadden Sea; WSSA) unter der Schirmherrschaft des UN-Übereinkommens zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (CMS) trilateral geschützt.

Zum Seehundbericht (Englisch)